«Neurologische Erkrankungen lösen oft Depressionen aus»

Physio- und Ergotherapie sind das eine, psychologische und psychosomatische Rehabilitation das andere. Im VAMED Rehazentrum im Zürcher Seefeld profitieren Neuro-Patienten von einer ganzheitlichen Therapie.

Text: Luk von Bergen


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Martin Keck, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie

Martin Keck: Über das Konzept am neuen Standort.

Herr Keck, was versteht man unter neurologischen Erkrankungen?

Übergreifend formuliert, handelt es sich um Erkrankungen des Gehirns, des Rückenmarks und der Nerven. Diese Erkrankungen lassen sich traditionellerweise klar auf eine Verletzung zurückführen. Beispiele sind etwa Lähmungen nach einem Schlaganfall, bei dem Teile des Gehirns ganz oder teilweise beschädigt wurden. Oder eine Querschnittlähmung nach einem Unfall, bei dem das Rückenmark verletzt wurde. Weiter befasst sich die Neurologie mit Bewegungsstörungen bei Parkinsonpatienten und mit Patienten, die an Multipler Sklerose (MS) leiden. Bei MS sind die Symptome oft sehr unterschiedlich, da meist unterschiedliche Hirnregionen betroffen sind. Neurologische Erkrankungen können auch durch Infektionen ausgelöst werden, beispielsweise durch eine Borreliose nach einem Zeckenbiss oder nach einer Covid-Infektion, Stichwort Long Covid.

 

Was genau beinhaltet das Gebiet der Psychosomatik?

Dieser Begriff stammt aus den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts und setzt sich aus den altgriechischen Wörtern «Psyche» für Seele und «Soma» für Körper zusammen. Inhaltlich geht es um eine ganzheitliche Betrachtungsweise von Erkrankungen. In der Philosophie betrachtete man Seele und Körper lange als zwei unabhängige Aspekte. Heute weiss man, dass Psyche und Physis eng miteinander verbunden sind und gerade bei Erkrankungen interagieren. Wer in einer guten psychischen Verfassung ist, hat also bessere Aussichten, sich zu erholen und gesund zu werden, als wenn er beispielsweise depressiv ist. Heute spricht man diesbezüglich auch von der sogenannten Mind-Body-Medizin.        

                                                                                                                                                                              

Weshalb leiden viele Neuro-Patienten an Depressionen?

Bei rund der Hälfte aller Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen treten sogenannte komorbide psychische Störungen auf. Das bedeutet, dass es im Rahmen einer körperlichen Erkrankung zu einer zusätzlichen erheblichen psychischen Belastung kommt. Das betrifft beispielsweise Menschen mit einer Schädel-Hirn-Verletzung, einem Schlaganfall oder einer chronischen Erkrankung wie Multipler Sklerose oder Parkinson. Krankheiten, Unfälle und andere Schicksalsschläge führen zu tiefgreifenden Veränderungen im Leben Betroffener und in deren Umfeld. Das Selbstwertgefühl leidet, was oft zu sozialer Isolation führt. Meist handelt es sich dabei um Ängste und Depressionen; besonders nach Unfällen entwickeln Betroffene auch posttraumatische Belastungsstörungen. Unbehandelte Depressionen wiederum verdoppeln das Risiko für einen Schlaganfall oder eine Demenz. Psychische Begleiterkrankungen haben enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität und die körperliche Rehabilitation. Zudem beeinträchtigen sie oft auch die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit erheblich.

 

Welche Rolle spielt dabei die psychische Erschöpfung?

Die Lebensqualität vieler Neuro-Patienten wird durch eine übermässige Erschöpfbarkeit beeinträchtigt, die sogenannte Fatigue. Fatigue umfasst sowohl eine vorschnelle oder abnorme Müdigkeit als auch eine rasche Erschöpfbarkeit bereits nach geringer körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung. Symptome, die übrigens auch im Zusammenhang mit Long Covid auftreten. Das ist sehr belastend, mündet aber nicht unbedingt in eine Depression. Wichtig ist, dass Betroffene wissen und verstehen, was sie durchmachen.

 

Gibt es weitere typische Begleiterkrankungen bei Neuro-Patienten?

Häufig treten funktionelle neurologische Störungen auf, sogenannte dissoziative Störungen. Diese neurologischen Beschwerden lassen sich mit einer Art Softwarefehler im Gehirn vergleichen. Denn sie lassen sich nicht durch eine diagnostizierte körperliche neurologische Erkrankung erklären. Es kommt also zu funktionellen Veränderungen, obwohl in der Struktur des Gehirns und der Nerven keine Veränderungen erkennbar sind. Eine funktionelle neurologische Störung kann unterschiedliche Körperregionen betreffen und unterschiedliche Beschwerden hervorrufen. Einige Patienten haben Lähmungserscheinungen, andere leiden an unwillkürlich auftretenden Bewegungen oder an Schwindel. Dabei spielen häufig psychische Faktoren eine Rolle. Ungefähr die Hälfte ist durch einen chronischen Verlauf gekennzeichnet.

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«Das VAMED Rehazentrum im Zürcher Seefeld vereint verschiedene Fachgebiete unter einem Dach – das ist einzigartig.» 

Martin Keck
Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie

Was macht das neue Konzept des VAMED Rehazentrums Zürich Seefeld einzigartig?

Unser Angebot beinhaltet nicht nur die medikamentöse Behandlung, Physio- sowie Ergotherapie und Logopädie. Wir versuchen, auch die psychische Situation unserer Patientinnen und Patienten in die Reha miteinzubeziehen. Etwas überspitzt formuliert: Wer depressiv und antriebslos ist, erscheint auch nicht zur Physiotherapie. Durch die ganzheitliche Betrachtung und die psychotherapeutische Begleitung legen wir die Erfolgsbasis für die gesamte Rehabilitation. Das VAMED Rehazentrum im Zürcher Seefeld vereint verschiedene Fachgebiete unter einem Dach. Bei uns gibt es erstmals alles in einer ambulanten Form und an einem Ort. Das macht unser Angebot einzigartig.

 

Wie genau arbeiten Sie mit Ihren Patientinnen und Patienten?

In einem ersten Schritt verschaffen wir uns einen Überblick. Nach einer schweren Diagnose sind die Betroffenen oft nicht in der Verfassung, Informationen aufzunehmen. Deshalb muss man die Dinge vielleicht mehrfach erklären. Dann geht es darum, die Behandlungsmöglichkeiten zu erläutern, die dem Zustand eines Patienten oder dem Schweregrad der Depression angepasst sind. Manche brauchen nur wenig Unterstützung, andere leiden unter Angstzuständen oder Zukunftsängsten, die durch eine Erkrankung zusätzlich getriggert werden. Hauptsächlich geht es darum, Wege zu finden, mit einer Krankheit umzugehen und sich an die neue Lebenssituation zu gewöhnen. Auch das Umfeld eines Patienten, einer Patientin hat einen wesentlichen Einfluss auf die Genesung. Wir versuchen, all diese Faktoren im Einzelfall so umfassend wie möglich zu berücksichtigen.

Zur Person

Martin Keck (54) ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie sowie Praktischer Arzt. Er arbeitet als Chefarzt der Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie in der Rehaklinik Seewis, die zu VAMED Schweiz gehört. Der international anerkannte Neurowissenschaftler hat über 150 Publikationen und Behandlungsleitlinien in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht.

Nennen Sie uns einige konkrete Beispiele?

Es geht darum, sämtliche Mosaiksteinchen zusammenzutragen und im Anschluss gemeinsam zu überlegen, welche Massnahmen im Einzelfall sinnvoll sind. Beispielsweise könnte es das Ziel einer depressiven Patientin mit Multipler Sklerose sein, morgens besser aus dem Bett zu kommen, sich eine Tagesstruktur zu schaffen und die Belastbarkeit schrittweise zu erhöhen. Bei motorischen Einschränkungen könnte man daran arbeiten, künftig wieder längere Gehstrecken zurückzulegen – etwa für den täglichen Einkauf. Der Wunsch eines Fatigue-Patienten könnte sein, mit seiner Partnerin einen Film zu schauen, ohne den inhaltlichen Faden zu verlieren. In diesem Fall wäre die gezielte Arbeit an der Konzentrationsfähigkeit eine mögliche Vorgehensweise. Grundsätzlich geht es um kleine, aber sehr wichtige Schritte zurück in einen Alltag mit mehr Lebensqualität. Es geht um Motivation und darum, sich konkrete Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen.

 

Was fasziniert Sie persönlich an Ihrem Tätigkeitsfeld?​​

Das Gehirn ist unser wichtigstes und gleichzeitig unser komplexestes Organ. Es steuert alle anderen Organe und steht mit diesen über das Nervensystem und beispielsweise die Hormone in einem ständigen Austausch. Erkrankungen des Gehirns oder des Nervensystems können also fatal sein und das ganze Leben verändern. In meiner Arbeit geht es darum, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um entsprechende Erkrankungen optimal zu behandeln und den Patientinnen und Patienten mehr Lebensqualität zurückzugeben.

Einzigartiges Angebot im VAMED Rehazentrum Zürich Seefeld

Komplexe und vielschichtige Erkrankungen erfordern beste Betreuung. Physio-, Psycho-, Ergo- oder Bewegungstherapie, sportwissenschaftliche Betreuung, Logopädie sowie Ernährungsberatung: Im VAMED Rehazentrum Zürich Seefeld legen wir Wert auf eine optimale und individuelle Behandlung. Unser interdisziplinäres Team, bestehend aus Spezialistinnen und Spezialisten verschiedener Fachgebiete, steht Ihnen gerne zur Verfügung.

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